Das Leben dreht sich zur Zeit mit unglaublicher Geschwindigkeit, alles passiert in einer unglaublichen Intensität. Es gibt so viele Gründe glücklich zu sein und so viele Dinge, die mich nachdenklich machen. Und meist hat es mit Menschen, Orten und Dingen zu tun, die mir am Herzen liegen.
Vor einigen Tagen erhielt ich eine Nachricht, dass eine der Lehrerinnen in
Beit Urian Krebs gestorben ist. Sie hatte erst in Sommer davon erfahren und es war bereits zu spät für eine erfolgreiche Behandlung. Andrea hinterlässt zwei Kinder. Ich will hier keine Warum?-Frage in den Raum werfen und Theodizee-Diskussionen liegen mir erst recht fern, aber dennoch überwältigt mich die gänzliche Sinnlosigkeit solcher Ereignisse.
Etwas von meiner persönlichen Ebene entfernter sind folgende drei Todesfälle, die in der jüngsten Vergangenheit geschahen: Ein Schiff der
Reederei, die auch unsere Schiffe bereedert, hat in einem US-amerikanischen Hafen Ladung gelöscht, dabei wurde ein ein Gastank beschädigt. Einer der Stevedores (
Leo bietet hier die Übersetzung Schauermann an, ich würde wohl Hafenarbeiter sagen) wollte sich den Schaden mal anschauen und als er nicht zurückkam, ging ein zweiter Stevedore nach dem ersten suchen. Obwohl es Schutzausrüstung an Bord gab, die nur hätte geholt werden müssen, ging auch noch ein dritter nach den ersten beiden schauen. Alle drei kamen um, weil der Tank Leck geschlagen ist und ein zwar ungiftiges, aber im Vergleich zu Sauerstoff schweres Gas austrat und den Sauerstoff im Laderaum verdrängte.
Noch mal zu Beit Uri, diesmal etwas positiveres: Unsere Mitgliederversammlung vor fünf Wochen war sehr schön und produktiv mit viel Disskussion, aber auch vielem schönem Beisammensein und selbstgemachten Falaveln, hmmm... Am späten Nachmittag löste sich die Gruppe auf und ich bin dann noch nach Stuttgart reingefahren. Das war etwas gespenstig, an dem Samstag war Mitternachtsshoppen in der Innenstadt, also alles gerammelt voll mit Freunden des hemmungslosen Konsums. Dementsprechend hab ich mich in ein Kino verzogen; es passte bis zum nächsten Zug nämlich noch genau, mir
"Let's make Money" anzusehen. Als in Finanzmarkt-nahem Job tätigen Menschen, wollte ich mir diesen Film nicht entgehen lassen, versprach er doch einen kritischen Blick auf die Branche bzw. eine Darstellung der Ursachen der aktuellen Krise, die ja schon über eine reine Finanzkrise hinaus gegangen ist. Einen wirklich klar zusammenhängenden Blick wird der Film einem aber nicht verschaffen, soviel vorab. Es werden vielmehr einzelne Puzzle-Teile vorgestellt, von denen das ein oder andere aneinanderpassen, aber das ganze Bild wird man angesichts der Komplexität der Materie vermutlich nicht bekommen können, oder wenn, dann nur mit Hilfe weiterer Recherche. Genau dort liegt meiner Meinung nach etwas die Verwundbarkeit des Films. Jemand, der meint, nur mithilfe dieses Filmes Zusammenhänge der Finanzwirtschaft verstehen zu können, macht sich mit Sicherheit etwas vor.
Es ist ein Einfaches, sich den ein oder anderen eindimensionalen Menschen aus dem Film herauszugreifen und dann über die Verderbheit der Menschen zu lamentieren. Na ja, jedenfalls hat der Film aber auch sehr gut erklärte Elemente, wie z.B. die Passage über die Steueroasen vor Englands Küste:
Guernsey,
Jersey, Isle of Man und wie sie alle heißen.
Sehr deutlich und klar dargestellt wurden auch die Strategien der Weltbank, Dritte-Welt-Staaten Kredite zu geben und sie zu unnötigen Infrastrukturmaßnahmen zu überreden. Diese werden dann selbstverständlich von westlichen Firmen umgesetzt, die erhofften Folgen der Investitionen treten aber nie ein. Dementsprechend können die betroffenen Länder ihre Zins- und Tilgungslast nicht erbringen und die Weltbank kann genüßlich ihren Maßnahmenkoffer aus Privatisierung, Marktliberalisierung, etcetc. auspacken. Den Rest kennt man ja...
Sehr spannend und emotional ist übrigens auch ein Artikel im aktuellen
Dummy-Magazin. Das Heft wurde in der letzten Ausgabe mit dem Arbeitstitel "Neger" angekündigt, wurde im Endeffekt aber als "Schwarze" veröffentlicht, auf die dazugehörige Diskussion geh ich jetzt mal nicht ein. Jedenfalls gibt es im Heft einen längeren Artikel von einem Autor, der zu versunkenen Sklavenschiffen vor der Küste der USA taucht und deren Geschichte erforscht bzw. beschreibt. Wirklich sehr gut zu lesen und empfehlenswert!
An dieser Stelle erzähl ich immer wieder gern, dass Sklaverei kein Kapitel im Geschichtsbuch ist, etwas gruselig, aber zum Glück vorbei, sondern im Gegenteil immer noch Realität. Neulich war ein sehr ausführlicher Artikel über den Menschenhandel zwischen Äthiopien und z.B. Dubai in der Süddeutschen. Leider im Internet nicht mehr nachzulesen, aber wen das Thema interessiert, der findet genug Quellen im Internet. Ich mach mir mal eine geistige Notiz, euch einmal eine Liste von diesbezüglich aktiven NGOs rauszusuchen.
Auf eine Gruppe, die in einem anderen Bereich aktiv ist, möchte ich aber bereits jetzt hinweisen und zwar auf die großartigen
Medica Mondiale. Die von der Kölner Ärztin Monika Hauser gegründete Organisation setzt sich für traumatisierte Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten ein und ist wirklich sehr aktiv. Genauere Infos zu den einzelnen Kampagnen zum Kongo, zu Afghanistan und den Balkanländern findet man auf der Homepage. Für die Arbeit wurde Medica Mondiale dieses Jahr verdienterweise mit dem alternativen Nobenpreis ausgezeichnet. Ich freu mich sehr darüber!
Und wo wir gerade beim gepflegten Gutmenschentum sind, haha, gleich noch ein bisschen Werbung, mal über das Thema
Organspende nachzudenken. Selbiges habe ich unlängst getan und bin zu dem Schluss gekommen, künftig einen Organspendeausweis mit mir herumzutragen. Viel gehört da nicht zu, einfach online Informationen durchlesen, Ausweis ausdrucken und einigen nahen Menschen (insb. Familie) darüber informieren, so dass sie im Fall der Fälle vom eigenen Wunsch wissen. Das Thema Organspende ist ja zwangsläufig mit dem Thema Tod verbunden, für mich selbst kein einfaches Thema. Auch wenn ich in meinem Leben noch keinen mir wirklich nahestehenden Menschen verloren habe, beschleicht mich doch ein mulmiges Gefühl, wenn ich auf der o.g. Internetseite die Beschreibung duchlese, wann genau ein Mensch klinisch tot ist. Hmm, die Vorstellung, dass jemand anderes dann sein Leben weiterführen kann, wenn man selber nicht mehr lebt, hach, das ist mal echt emo...
Apropos Emo, vielleicht auch mal wieder ein bisschen was zum Thema Musik. Die
Fleet Foxes werden ja überall abgefeiert, Grund eigentlich genug, sie hier nicht zu erwähnen. Aber
"Tiger Mountain Peasant Song" ist einfach zu schön, um es zu verschweigen. Mich hat der Song im Sommer total erwischt, als ich in Magdeburg (na ja, eher im Nirgendwo bei Magdeburg) war anlässlich des Besuches der Beit Uri-Delegation. Ich lag schon im Bett, der Laptop spielte noch Musik und irgendwie war das Album in die Playlist geraten. Das Faszinierende ist, dass das Lied über winzige Laptop-Lautsprecher ohne vernünftigen Bass und Höhensteuerung viel intensiver finde, als über eine vernünftige Anlage gespielt. Es klingt dann noch viel weiter weg, noch surrealer, noch viel zerbrechlicher.
Vor einigen Wochen, als es mir entschieden schlechter ging als heute, fiel mir die "Kuddel" von
Matula in die Hände. Also für solche Tage ist das schon ein ziemlich klasse Album. Heute könnte ich es mir zwar nicht mehr anhören, aber "4,8 Milliarden" muss noch auf ein Mixtape, fragt sich nur noch, für wen.
Eine Band, die ich mir heute definitiv anhören könnte, sind die wunderbaren
Fire Team Charlie. 90ies Timemachine hoch 3! Unbedingt anhören, z.B. die letzten drei Stücke auf der Myspace-Seite. Und mit etwas Glück kommen die Jungs nächstes Frühjahr mit
End of a year auf Tour, das wäre momentat mein absolutes Traum-Heartcore-Double-Feature... Wo wir gerade bei Retro-Emo sind, kann man ja auch gleich mal wieder die
"Syncopated Synthetic Laments for Love" von
Yaphet Kotto auflegen, ein Meisterwerk. Die Band war in vielerlei Hinsicht doch sehr außergewöhnlich und es war teilweise eher Zufall, dass ich sie auf ihrer letzten Tour noch sehen konnte. Es war besagte Tour, bei der nach den einschlägigen Szenegerüchten die Bandmitglieder bereits so voneinander angepisst war, dass der kleine Anlass ausreichte um Shows in der Mitte abzubrechen.
Nach gefühlter Ewigkeit von Banalem zeigt das
Haus der Fotographie der Deichtorhallen endlich mal wieder große Fotographie. Zum Einen eine Retrospektive auf das Werk von
Kiyoshi Suzuki, einer Lichtgestalt der japanischen Fotographie. Wobei Lichtgestalt vielleicht nicht die allerpassenste Beschreibung ist, da Suzuki, der vorwiegend schwarz-weiß fotographierte, eher mit Schatten und Dunkelheit arbeitete, als mit Licht. Seine Motive sind sehr gefühlvoll, viele Portraitfotos, die zwar nie inszeniert sind, aber dennoch sichtbar zeigen, dass Suzuki sehr viel eigene Sehnsüchte und Vorstellungen in seine Motive einfließen lässt. Wer auf eine etwas weniger epochale japanische Version von Robert Frank Lust hat und s/w-Fotographie liebt, sollte sich diese Werksschau auf keinen Fall entgehen lassen!
Parallel zeigt das Haus der Fotographie "early american color fotography", Anfänge der Nutzung der Farbfotographie als künstlerisches Medium. Wie man sich unschwer vorstellen kann, war den großen amerikanischen Pionieren der S/W-Fotographie die neue Technik eher suspekt, so wird von Walker Evans der Ausspruch überliefert Farbe bzw. Farbfotographie wäre unweigerlich vulgär. Wie so oft brauchte es also junge Künstler, die eine Bresche für die Farbfotographie schlugen und exemplarisch werden von den Deichtorhallen hier
Joe Maloney, Joel Meyerowitz, Stephen Shore und Joel Sternfeld vorgestellt. Unglaublich begeistert hat mich dabei letzterer, ein unerreichbarer Gott in Sachen Komposition und Bildaufbau. Der Mensch muss ein unglaubliches Gespühr für Perspektive und Ausschnitte gehabt haben, viele seiner Bilder lassen einen minutenlang davor stehen bleiben um auch noch das letzte Detail und den letzten Winkel aufzusaugen. Die anderen drei Fotographen verblassen meiner Meinung nach etwas hinter Sternfeld, nicht zuletzt weil sie weniger mit Menschen arbeiten und in den meisten Fällen sehr reduzierte Objektfotographie versuchen. Vielleicht hätte man dem Spannungsbogen zu Liebe Sternfeld ans Ende, nicht an den Anfang der Ausstellung setzen sollen.